Pflege- und Unterstützungsbedarf von Patienten vor und nach Tumorentfernung im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich
Krebserkrankungen der Mundhöhle und des Rachens weisen im Jahr 2008 eine Inzidenz (Zahl der Neuerkrankungen) bei Männern von 19,1 Prozent und bei Frauen von 5,9 Prozent auf. Für das Jahr 2012 wird ein weiterer Anstieg prognostiziert.
Die Erkrankungsraten für diese Tumorarten nehmen seit dem Jahr 2000 zu, während die Sterberaten bei Frauen gleich bleiben und bei Männern leicht rückgängig sind. Wichtigste Auslöser für diese Krebserkrankung sind Tabak- und Alkoholkonsum.
Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit untersuchte die Absolventin der Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der MLU Halle-Wittenberg, Kathleen Horn, das Erleben sowie die Bewältigungsformen von Patienten vor und nach Tumorentfernung im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich an der Universitätsklinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie in Halle (Saale). Betreut wurde diese Arbeit durch Prof. Margarete Landenberger (Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft).
Im Zentrum der Studie stand die Frage, wie die betroffenen Patienten ihre Tumorerkrankung bspw. der Zunge oder des Mundbodens und die meist schwerwiegenden Operationen erleben und bewältigen. Es wurden 15 Patienten nach chirurgischer Tumorentfernung in der Stationsambulanz der Klinik mittels teilstrukturierter, leitfadengestützter Interviews befragt. Die Daten wurden inhaltsanalytisch ausgewertet.
Die Ergebnisse zeigen spezielle Belastungsfaktoren bei den Patienten. Als wichtige körperlich-funktionelle Veränderung nennen sie Beeinträchtigungen beim Sprechen, Kauen und Schlucken, also bei der Nahrungsaufnahme, sowie bei der Beweglichkeit von Kopf, Schultern und Armen. Bei den psychisch-emotionalen Belastungen steht die prä- und postoperativ auftretende Angst im Mittelpunkt. Postoperativ zeigen die Patienten in den Interviews ein erstaunliches Nebeneinander von fortbestehender Angst, gleichzeitig jedoch auch Erleichterung, Freude, Dankbarkeit über die Entfernung des Tumors, das Überstehen der Therapie sowie die verlässliche und individuelle Nachversorgung durch die Ärzte und Pflegekräfte der Ambulanz. Im sozialen Bereich sind die Auseinandersetzung mit der veränderten beruflichen Situation, vor allem bei Verlust des Arbeitsplatzes, und die damit verbundenen finanziellen Einschränkungen besonders hervorzuheben.
Ein weiterer Schwerpunkt der Forscherin lag bei der Erhebung der Bewältigungsstrategien der Patienten. Auffallend war die überwiegend positive Bewältigung ihrer individuellen Beschwerden und Funktionseinschränkungen. Gemessen an der existenziellen Bedrohung werden funktionelle Einschränkungen in Kauf genommen. Die Patienten beschreiben ihre konstruktiven Aktivitäten und ihr Zupacken. Außerdem berichten die Patienten, dass sie persönliche und soziale Ressourcen nutzen, um mit Einschränkungen beim Sprechen und Schlucken sowie mit ihren Sorgen zu Recht zu kommen.
Die Schlussfolgerungen für die Pflegepraxis wurden von Pflegekräften lebhaft diskutiert. Zwar seien ihnen durch die tägliche Betreuung dieser Patienten deren Belastungen und Ressourcen bekannt, doch durch die Studie hätten sie klarer als bisher erkannt, dass ein systematisches Assessment zur Messung der Symptome und des Unterstützungsbedarfs wichtig sei. In der Diskussion betonten die Pflegekräfte außerdem den Bedarf der stärkeren Einbeziehung von Logopäden, Physiotherapeuten und Psychologen, neben Pflegenden und Ärzten. So könnte unter Beteiligung der Pflegewissenschaft ein interdisziplinäres Therapie- und Nachversorgungskonzept für die Patientengruppe mit Mund-Kiefer-Gesichts-Tumoren entwickelt werden. Erforderlich sei auch die aktive Einbeziehung der Angehörigen und Bezugspersonen der Patienten, um auch hier gezielte Hilfestellungen anbieten zu können.
Abschließend skizzierte Kathleen Horn den künftigen Forschungsbedarf, der sich aus der Zunahme der Kopf-Hals-Tumoren vor allem bei jüngeren Patienten ergibt. Wichtig sind Längsschnittstudien, in denen der Krankheits-, Therapie-, Nachversorgungs- und Rehabilitationsverlauf der Patienten verfolgt wird, um weitere Aufschlüsse über das gegenwärtige Erleben und die in den Vordergrund rückenden Belastungen der Patienten in den unterschiedlichen Phasen des Krankheitsverlaufs zu erhalten. Auf dieser Grundlage könnte unter Beteiligung der Pflegewissenschaft ein interdisziplinäres Therapie- und Nachversorgungskonzept für die Patientengruppe mit Mund-Kiefer-Gesichts-Tumoren entwickelt und in seiner Wirksamkeit erforscht werden.