Sind die Kinder in Sachsen-Anhalt noch zu retten?

Die Anzahl der Menschen mit Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) wächst in Deutschland seit Jahren. Auch in Sachsen-Anhalt stiegen die Zahlen und damit ebenfalls die verordneten Mengen an Medikamenten wie Ritalin. Ganz besonders häufig erhielten Kinder und Jugendliche im Burgenlandkreis, in den Kreisen Börde und Dessau-Roßlau eine ADHS Diagnose. Unter ihnen ist der Anteil an Jungen im Alter von 10-12 Jahren auffällig hoch. Zu diesem Ergebnis kam der BARMER GEK Arztreport 2013. Gleichzeitig wirft der Report Fragen auf. Wächst ein Generation ADHS heran? Brauchen Kinder medizinische Behandlung, um dem Schulstoff folgen und sich gegenüber Gleichaltrigen und Erwachsenen angemessen verhalten zu können?

Im Burgenlandkreis wird am meisten gezappelt
Im Burgenlandkreis war es für Lehrer, Eltern und Erzieher besonders schwer ihre zappeligen Schützlinge zu hüten. 2011 erhielten hier rund 62 von 1000 Heranwachsenden eine ADHS Diagnose. Besonders wenige Fälle gab es dagegen im Altmarkkreis Salzwedel. Im selben Jahr bekamen hier nur rund 22 von 1000, eine derartigen Diagnose. In sechs von 14 Kreisen des Bundeslandes lag die Anzahl der ADHS Diagnosen unter dem Bundesdurchschnitt, in acht dagegen deutlich darüber. Auch die Verordnungen für eine Behandlung mit Ritalin sind in Sachsen-Anhalt gestiegen. Bekamen 2006 rund 14 von 1000 Kindern ein Pillenrezept, so waren es 2011 bereits fast 17 von 1000. Die meisten Pillen schluckten dabei die Heranwachsenden im Burgenlandkreis und die wenigsten in Harz. Trotz einer gestiegenen Anzahl von diagnostizierten ADHS Fällen, bekamen im Kreis Mansfeld Südharz deutlich weniger Kinder Ritalin verschrieben als noch 2006. Auch in Altmark Salzwedelkreis und im Harz sank die Anzahl der Ritalinverordnungen.

Betäuben statt beschäftigen
ADHS verbreitet sich wie eine Epidemie. Auffällig häufig werden die Diagnosen bei Kindern in der Phase des Wechsels von der Grundschule zu einer weiterführenden Schule diagnostiziert. In diesem Entwicklungsalter haben Kinder, vor allem Jungen, einen besonders großen Bewegungsdrang. Hinzu kommt beim Schulwechsel oft noch der hohe Erwartungsdruck von den Eltern. Recht schnell wird dann das Medikament Ritalin eingesetzt. „Der Anstieg von ADHS Diagnosen und Ritalinverordnungen ist kein neues Thema“, sagt Elke Sy, Landesbereichsleiterin der BARMER GEK in Sachsen-Anhalt. Bereits im GEK Arzneimittelreport 2007 wurde eine drastische Zunahme der Verordnungen bei Kindern festgestellt. Um mehr als das Hundertfache waren sie seit 1992 gestiegen. „Das sorgte bereits damals für heftige Diskussionen. Doch eine Umkehr dieses Trends ist auch jetzt nicht zu sehen. Wird zu viel und zu schnell verschrieben“, fragt sie. Laut wissenschaftlich fundierten Leitlinien sollte Ritalin erst dann zum Einsatz kommen, wenn sich alle anderen Behandlungsmaßnahmen allein als unzureichend erwiesen haben.

Eltern müssen unterstützt werden
In vielen Fällen sollte zuerst hinterfragt werden ob das Kind wirklich zum Arzt muss oder ob es wichtiger ist, den Eltern und Erziehern mehr Beratung und Unterstützung zu geben. Wenn schon Ritalin und Co zum Einsatz kommen, so sollten Pillen nicht erste und einzige Therapieoption bleiben. Psycho- und Verhaltenstherapien sowie gezieltes Elterntraining müssen gleichberechtigt hinzutreten.
„Sehr wichtig für uns ist die Kooperation mit Fachleuten, Kindertageseinrichtungen, Schulen und natürlich auch mit den Eltern“, betont Sy. Es gilt die die Ausbreitung von ADHS als Modekrankheit zu stoppen und die unkonzentrierten, impulsiven, hibbeligen Kinder, die einfach nur ihre Grenzen austesten wollen, von denjenigen zu unterscheiden, die wirklich Hilfe brauchen. Das kann nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein.

BARMER GEK Arztreport 2013
Der Report 2013 liefert bereits zum siebten Mal einen aktuellen und umfassenden Überblick zur ambulant ärztlichen Versorgung in Deutschland. Grundlage der Auswertungen bilden die pseudonymisierte Daten von 8,7 Millionen Versicherten der BARMER GEK. Die Ergebnisse sind in einer entsprechend der Geschlechts-und Altersstruktur der deutschen Bevölkerung standardisierten Form dargestellt. Dadurch ist eine Übertragung der Ergebnisse auf die gesamte Bevölkerung möglich. Der Report entstand in Zusammenarbeit mit dem ISEG, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung Hannover.

BARMER GEK Arztreport 2013 (PDF, 6 MB)

Infografiken zum Arztreport 2013 (PDF, 569 KB)

Digitale Pressemappe zum Arztreport 2013 (PDF, 4 MB)