Essstörungen sind in Sachsen-Anhalt ein „zunehmendes“ Problem

Prävention muss gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein

In Sachsen-Anhalt ist die Zahl von Patienten mit Essstörungen innerhalb von fünf Jahren um 10,3 Prozent gestiegen, das berichtet die Barmer GEK nach Auswertung ihrer Versichertendaten. So wurden im Jahr 2009 noch 768 Versicherte wegen einer Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brecht-Sucht) oder anderen Essstörungen ärztlich behandelt, im Jahr 2014 waren es bereits 847 Versicherte zwischen Arendsee und Zeitz.

„Doch Magersucht oder Bulimie lassen sich nicht per Gesetz verbieten“, sagt Thomas Nawrath, Landespressesprecher der BARMER GEK in Sachsen-Anhalt. Das französische Parlament hatte vergangene Woche ein Gesetz gegen magersüchtige Modells auf den Laufstegen verabschiedet. „Wer Essstörungen hat, braucht professionelle Hilfe und kein Gesetz. Es ist eine ernst zu nehmende Erkrankung. Es kann zwar sein, dass die schlechte Vorbildwirkung bei Jugendlichen ein falsches Körpergefühl vermittelt, doch die Ursachen für Magersucht und andere Essstörungen liegen in der Regel ganz woanders“, sagt Nawrath. Das seien zum Beispiel Schwierigkeiten in der Familie, nicht verarbeitete Trauer oder Leistungsdruck, der auch auf den eigenen Körper übertragen wird.

Mehr Fälle von Essstörungen in Sachsen-Anhalt – selbst im hohen Alter
Deshalb sind Essstörungen – entgegen dem Klischee – nicht nur ein Problem von jungen Frauen sondern kommen in jedem Alter vor. Denn auch bei den 30- bis 40-Jährigen werden Magersucht, Bulimie oder Psychogene Esssucht (Binge Eating) sehr häufig diagnostiziert (plus 41,4 Prozent). Doch die größte Zunahme gegenüber 2009 gab es in den Altersgruppen 51 bis 60 Jahre (plus 76,8 Prozent) und über 60 Jahre (plus 62,2 Prozent). „Auslöser können schwere Lebenskrisen, der veränderte Körper nach einer Geburt, jahrelange Diäten oder die Angst vor dem Älterwerden sein. In einer jungendfixierten Gesellschaft wächst mit dem Alter die Angst vor dem Verlust von Erfolg und Annerkennung“, erläutert der Landespressesprecher.

Im Vergleich der mitteldeutschen Länder steht Sachsen-Anhalt etwas besser da, stiegen doch die Fallzahlen für Essstörungen in Thüringen zwischen 2009 und 2014 um 16,6 Prozent und in Sachsen sogar um 19,7 Prozent. Bundesweit lag der Anstieg in dieser Zeit bei 14,5 Prozent. Auch hier entfielen die Steigerungen vor allem auf Teenager und die über 50-Jährigen. „Erfreulicher Weise gingen diese Diagnosen im frühen Kindesalter bundesweit wie auch in Sachsen-Anhalt merklich zurück“, erläutert Nawrath. Vor fünf Jahren hatten die Fallzahlen der Essstörung bei den unter 6-Jährigen sogar die der 13- bis 18-Jährigen überschritten. Dieser Trend konnte umgekehrt werden.

Prävention ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe
„Eltern, Freunde, Mediziner und Krankenkassen müssen an einem Strang ziehen, um den Betroffenen zu helfen“, sagt der Landespressesprecher der Barmer GEK. Neben der Behandlung von bereits Erkrankten geht es aber auch um gesundheitliche Vorsorge und Prävention. „Hier ist das vor wenigen Wochen verabschiedete Präventionsgesetz zu begrüßen – doch an wichtigen Punkten greift es zu kurz, wenn es nur die Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in die Pflicht nimmt“, so Nawrath. „Auch die Länder und Kommunen, die Unfall- und Rentenversicherungsträger und nicht zuletzt die Private Krankenversicherung müssen sich aktiv einbringen und an der Umsetzung beteiligen, sonst werden wir die Präventionsziele verfehlen.“ Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In jedem Fall müssen Kinder so früh wie möglich lernen und erleben, wie sie sich richtig ernähren und bewegen können, um fit zu bleiben. Das beginnt in den Kindertageseinrichtungen und sollte auch in der Schule mehr Bedeutung erlangen als bisher.

Weitere Informationen und Hintergründe zu Magersucht, Bulimie und Binge Eating bietet die Broschüre „Essstörungen erkennen und handeln. Ratgeber für Angehörige“ unter www.barmer-gek.de/127015