Weltweit erste erfolgreiche Behandlung der Autoimmunkrankheit Myasthenia gravis
Magdeburger Mediziner setzen erstmals CAR-T-Zellen erfolgreich gegen die seltene Muskelkrankheit Myasthenia gravis ein.
An der Universitätsmedizin Magdeburg wurde eine schwer an Myasthenia gravis erkrankte 34-jährige Patientin weltweit erstmals mit der neuartigen CAR-T-Zell-Therapie im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erfolgreich behandelt. Das Ärzteteam unter der Leitung von Prof. Dr. med. Di-mitrios Mougiakakos, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie Magdeburg, und Prof. Dr. med. Aiden Haghikia, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie Magdeburg, hat den Fall heute im Beisein von Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff vorgestellt. Die CAR-T-Zell-Therapie wird bisher vor allem bei der Behandlung von Blut- und Lymphdrüsenkrebs eingesetzt. Die aktuellen Ergebnisse der Magdeburger Gruppe wurden in dem renommierten Fachjournal "The Lancet Neurology" veröffentlicht. Bereits Ende 2021 berichtete Prof. Mougiakakos als Erstautor im "New England Journal of Medicine" über eine junge Patientin mit Systemischen Lupus Erythematodes, die unter seiner Beteiligung weltweit erstmalig erfolgreich mit CAR-T-Zellen behandelt werden konnte.
Gelähmte Augenlider, Doppelbilder, Muskelschwäche in Armen und Beinen bis hin zu Schluck- und Atembeschwerden - all das sind typische Symptome der seltenen neurologischen Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis, an der Denise Hohmann seit 2012 leidet. Prof. Haghikia, Experte im Bereich der Neuroimmunologie, erklärt: "Mehrmals im Jahr musste unsere Patientin aufgrund von schweren Krankheitsschüben intensivmedizinisch im Krankenhaus behandelt werden und eine künstliche Beatmung war wiederholt notwendig. Verschiedene immununterdrückende Therapien waren nur unzureichend wirksam."
Die Mutter von vier Kindern aus Salzwedel erzählt: "Vor der Therapie habe ich mich extrem schlecht gefühlt und war regelrecht verzweifelt. Insbesondere in den letzten fünf Jahren ging es mir sehr schlecht. Zwei Jahre vor meiner Behandlung wurde ich zum Pflegefall und war auf eine Gehhilfe angewiesen. Ich saß im Rollstuhl und konnte nichts mehr alleine machen. Bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt im Jahr 2021 hatte sich mein Zustand dermaßen verschlechtert, dass ich in die Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Magdeburg verlegt werden musste. Prof. Haghikia und sein Ärzte-Team der Neurologie haben sich sehr um mich gekümmert und ich habe nach meinem regelrechten Ärztemarathon wieder Vertrauen zu Ärzten gewonnen. Seit Beginn meiner CAR-T-Zell-Therapie bei Prof. Mougiakakos und Prof. Haghikia im Mai 2023 geht es mir Woche für Woche besser. Eine Gehhilfe benötige ich nicht mehr und ich gehe zuversichtlich durchs Leben, insbesondere weil ich inzwischen alles alleine erledigen kann. Ich bin sehr glücklich darüber und den Ärzten sehr dankbar."
Prof. Mougiakakos erklärt das Prinzip der CAR-T-Zell-Therapie: "Der Patientin wurden zunächst ihre eigenen T-Zellen - eine Schlüsselkomponente des Immunsystems - entnommen und genetisch zu sogenannten chimären Antigenrezeptor-(CAR-)T-Zellen reprogrammiert. Diese erkennen ein bestimmtes Eiweiß auf der Oberfläche von B-Zellen und zerstören sie dann. Anschließend haben wir dieses 'lebende Medikament' der Patientin als Infusion verabreicht. Nach kurzer Zeit waren alle B-Zellen, auch die schädlichen, eliminiert und die Therapie wurde sehr gut vertragen". Prof. Haghikia betont: "Nach der stationären Überwachungsphase konnten wir die Patientin zügig entlassen. Die klinischen Symptome verbesserten sich rasch und wir konnten ihre bisherige Dauertherapie, die das Immunsystem abschwächt, ausschleichen."
Prof. Mougiakakos spricht von einem möglichen immunologischen "Neustart", der durch die CAR-T-Zelltherapie ausgelöst wird, da die B-Zellen mittlerweile zurückgekehrt sind, diese jedoch keine Autoantikörper zu produzieren scheinen und die Patientin damit krankheitsfrei verbleibt. Die Autoren erklären in der gemeinsamen Schlussfolgerung, dass dieser Ansatz einzigartig sei, weil er als einmalige Intervention konzipiert ist, um eine lang anhaltende medikamentenfreie vielleicht dauerhaftes Nachlassen bzw. Verschwinden von Krankheitssymptomen zu erreichen. Dieser ehrgeizige Ansatz könnte eine neue Ära der Behandlung von neurologischen Autoimmunkrankheiten einläuten.
Prof. Mougiakakos und Prof. Haghikia betonen: "Jetzt sind größere kontrollierte Studien wichtig, um diesen Behandlungserfolg zu validieren und damit diese Form der Therapie möglichst vielen Patientinnen und Patienten in der nahen Zukunft zugänglich zu machen. Magdeburg nimmt dabei eine führende Rolle ein."
Prof. Hans-Jochen Heinze, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Magdeburg, sagt: "Wir freuen uns sehr, dass es Frau Hohmann nach all den lebensbedrohlichen Strapazen wieder deutlich bessergeht und zurück im Leben ist. Neben der bestmöglichen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten haben wir als Universitätsmedizin auch den besonderen Auftrag der translationalen Diagnose und Therapie, das bedeutet, die neuesten Erkenntnisse der Forschung bzw. in der klinischen Behandlung zielgerecht anzuwenden. Mit unseren brillanten Experten ist es uns gelungen, diesen neuen Ansatz in der Behandlung einer schweren Autoimmunerkrankung erstmals erfolgreich umzusetzen."
Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff erklärt: "Der heutige Tag macht deutlich, dass der Wissenschaftsstandort Sachsen-Anhalt und die Landeshauptstadt Magdeburg exzellente Voraussetzungen für medizinische Forschungsarbeit bieten. Ich freue mich über jeden Fortschritt, der ein Grund zur Hoffnung für Menschen ist, die das Schicksal einer schweren Krankheit zu tragen haben."
Der Aufsichtsratsvorsitzende des Universitätsklinikums Magdeburg, Wissenschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann, betont: "Der beispiellose Erfolg bei der Behandlung zeigt die große Stärke unserer Universitätsmedizin: Die Mischung aus klugen Köpfen und hochmoderner Infrastruktur ermöglicht Spitzenforschung auf Top-Niveau. Davon profitieren alle Beteiligten, insbesondere die Patientinnen und Patienten. Meinen Glückwunsch an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie der Patientin weiterhin gute Genesung."
Myasthenia gravis
Die Myasthenia gravis (oder kurz Myasthenie) ist eine seltene Erkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet (Autoimmunerkrankung). Autoantikörper stören die Impulsübertragung an der Schnittstelle zwischen Nerv und Muskel. Die Folge ist eine Muskelschwäche, die typischerweise bei körperlicher Belastung weiter zu-nimmt und sich in Ruhe wieder bessert. In Deutschland sind etwa 15.000 Menschen von der Krankheit betroffen.
Originalpublikation
Anti-CD19 CAR T cells for refractory myasthenia gravis in "The Lancet Neurology", DOI: https://www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422(23)00375-7/fulltext
Kontakte:
Prof. Dr. med. Dimitrios Mougiakakos, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie Magdeburg
Telefon: +49-391-67-21233, dimitrios.mougiakakos@med.ovgu.de
Prof. Dr. med. Aiden Haghikia, Direktor der Universitätsklinik für
Neurologie Magdeburg
Telefon: +49-391-67-13431, aiden.haghikia@med.ovgu.de
Anlage:
Foto (v.l.): Prof. Dr. med. Hans-Jochen Heinze, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Magdeburg, Prof. Dr. rer. nat. Daniela Dieterich, Dekanin der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke- Universität Magdeburg, Prof. Dr. med. Aiden Haghikia, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie Magdeburg, Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff, Prof. Dr. med. Dimitrios Mougiakakos, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie Magdeburg und Marco Bohn, Kaufmännischer Direktor des Universitätsklinikums Magdeburg. Fotograf: Emanuel Oropesa Benitez/UMMD